Ab Gesang

Die Lehrerin der S3 strukturiert ihren Unterricht insgesamt sehr schülerzentriert und nimmt sich oft fast vollständig aus dem Unterrichtsgeschehen raus. In Gruppenarbeiten erarbeiteten sich die SuS die Unterrichtsinhalte und -ergebnisse meist selbst. In dieser und der nächsten Doppelstunde haben die SuS so Zeit, sich die ausgeteilten drei Arbeitsblätter zu erarbeiten. Das Gedicht Ab Gesang von Ulla Hahn soll anhand von sechs Leitfragen analysiert und interpretiert werden: Ab Gesang

 

Ab Gesang

Ich halt dich nicht mehr
aus hau ab ins Grab
gewiss werde ich dir folgen
nie und nimmermehr
schick ich dem Ach ein
Weh noch hinterher

Zieh deine Leine Liebster ein verdufte
wie eine Rose müde ist vom
Kosen hast du dich nie müd gemacht.
Ach wie gemalt in deinen Hosen
fiel ich auf dich
herein auf deinen Teppich
aus Worten fein gewirkt und
gewoben hast du mir manchen Tag
Traum hast du mir zerstört.

Ich halt dich nicht mehr
aus hau ab im Paradies
gewiss bist du gut aufgehoben.

Erst in der fünften Stunde werden die Ergebnisse im Plenum zusammengetragen. Überraschenderweise (die Klasse zeigte sich nach  zwei Monaten Liebeslyrik zunehmend demotiviert) kam die Klasse sehr schnell in eine engagierte Diskussion.

Bei der Beantwortung der vier Leitfragen

  1. Um was geht es?
  2. Welche sprachlichen Gestaltungsmittel fallen auf?
  3. Wer spricht hier?
  4. Wie ist der gedankliche Aufbau?

wurden verschiedene Positionen vertreten. Zwar waren sich alle einig darüber, dass das Gedicht einen negativ konnotierten Liebesbegriff thematisiert. Das Lyrische Ich richte seine Worte an einen „Liebsten“ und beschreibt seine Gefühle. Doch die Formulierung des Themas fiel schwer und die SuS zeigten sich uneins in der Frage, ob der Angesprochene noch geliebt wird. Soll er wirklich gehen? Und wenn ja, wieso ins Paradies? Gerade die letzte Strophe zeigt sich hier als Scheidepunkt. Die Lehrerin muss bei dieser Diskussion nur Impulse setzen, die nicht wirklich leitend sondern eher Gedanken-anreizend wirken. Die Lehrerin zeigt sich zudem sehr interessiert an jeder einzelnen Aussage und wertschätzt diese. Es herrscht eine positive Atmosphäre, die auch die Jungen motiviert, sich mit dem Gedicht auseinanderzusetzen.

 

Gedichtwand

Die SuS haben in der letzten Doppelstunde die Aufgabe bekommen, ein eigenes Liebesgedicht zu verfassen. Hierzu wurde ein Arbeitsblatt ausgeteilt , dass verschiedene Formen von Gedichten darstellt: Elfchen, Akrostichon, Sonett, Haiku. Den Erzählungen der Lehrerin zufolge zeigten sich die SuS zunächst wenig motiviert, gerade die Jungen. Doch das Arbeitsblatt half ihnen und gab eine wenn auch variabel Struktur vor.

In dieser Stunde wurden die Gedichte wie folgt vorgestellt. Anonym sollten die SuS ihre Gedichte an die Fensterwand heften und somit allen bei einem Rundgang die Möglichkeit geben, jedes Gedicht zu lesen. Am Ende sollte jeder SuS drei rote Punkte vergeben, für die Gedichte, die ihnen am Besten gefallen haben. Drei Gedichte wurden hierdurch zu den gelungensten ernannt.

Doch um alle Gedichte zu wertschätzen, sollten die SuS im Anschluss alle Gedichte auf eine Leinwand schreiben, um sie in den Flur der Schule zu hängen. Die Lehrerin ermutigt die SuS immer wieder, dass sie sich nicht für ihre Gedichte zu schämen brauchen, sondern vielmehr stolz auf die tollen Resultate sein können. Die SuS sind sehr motiviert, die Leinwand kreativ zu gestalten.Gerade durch die Ermunterung der Lehrerin lernen die SuS, dass auch oder gerade emotionale Schriften kein Grund zur Scham sind, sondern ein literarische Ausdrucksform, die Lob verdient.

 

Wie ist diese Situation zu dieser Sachlage gekommen?

Die SuS der S3 haben die Möglichkeit, ihre mündliche Note durch eine halbstündige Präsentation zu verbessern. Hierfür haben sich vier SuS bereit erklärt, von denen ich zwei beobachten konnte. Überraschend war für mich, dass nur wenige SuS dieser Möglichkeit für eine Notenverbesserung nachgegangen sind. Die Lehrerin bat mich, ebenfalls Notizen zu den Vorträgen zu machen, um mit ihr hinterher die Note zu bestimmen. 

In den Vorträgen musste ein ein Liebesgedicht des 20. Jahrhunderts vorgestellt, kontextualisiert und interpretiert werden. Die SuS mussten im Vorfeld ein Thesenpapier mit einer detaillierten Quellenangabe (mindestens vier der Quellen dürfen keine Internetquellen sein) der Lehrerin einreichen. Auch die mediale Umsetzung der Präsentation wirken in die Notenvergabe ein.

In den Präsentationen wurde deutlich, dass der Umgang mit spezifischen Vokabular zur Gedichtanalyse nicht sicher war und viele Pauschalisierungen wie Die Zeit verändert uns eigentlich gar nicht oder Wie ist diese Situation zu dieser Sachlage gekommen? getroffen wurden.

Feedback

Auch wenn die Präsentationen über zwei Doppelstunden hinweg gehalten wurden, zeigten sich die zuhörenden SuS sehr geduldig und konzentrierten sich auf das Vorgetragene. Am Ende der Stunde hat die Lehrerin die SuS gebeten ein Feedback an der Tafel zu geben. Jeder SuS sollte hierbei einen Strich an der Tafel auf einer Skala von 1 bis 10 setzen. Dies allerdings ohne Anwesenheit der Lehrerin, um eine unverfälschte Einschätzung zu gewährleisten. Es zeigte sich, dass die SuS in ihrer Einschätzung tatsächlich auch unsere „Lehrermeinung“ widerspiegelten, auch wenn aufgrund von Sympathie und Antipathie Verfälschungen zu erwarten waren.

Aussicht auf Unterstützung

Heute hat sich die Möglichkeit eröffnet, dass ich mit einer Kommilitonin zusammenarbeiten kann, die ebenfalls ohne Tandem-Partnerin im Kernpraktikum steht. Ihr Schule ist nicht weit von meiner und so ist es möglich zu pendeln. Und vor allem zusammen zu unterrichten und Unterrichtskonzepte zusammen auszuarbeiten!

Heute bin ich das erste Mal in der S1. Auch hier werde ich relativ schnell akzeptiert, von einen mehr von anderen weniger. Es ist schon ein eigenartiges Gefühl, SuS unterrichten zu wollen, die teilweise gerade mal sieben Jahre jünger sind. Das Thema in der S1 ist Die Leiden des jungen Werther von Goethe. Ich habe das Buch selbst das letzte Mal in der elften Klasse gelesen und muss mich so selber einarbeiten. Glücklicherweise ist mein Begleitseminar so strukturiert, dass wir uns mit den aktuellen Themen der Oberstufe sowohl inhaltlich als auch didaktisch auseinandersetzen. Gerade der Austausch mit den Kommilitonen erweist sich als sehr gewinnbringend.

Der erste Tag

Neue Schule – neues Glück!?

Im zweiten Teil meines Kernpraktikums werde ich an einer Stadtteilschule im Osten Hamburgs sowohl hospitieren als auch auch unterrichten. Leider bin ich nun nicht mehr als Tandem unterwegs, weil meine Tandem-Partnerin ein Auslandssemester in Spanien eingelegt hat. Also muss ich alles auf eigene Faust erleben und bestehen, kein Austausch über Unterrichtskonzepte und mich den fast schon erwachsenen Schülern der Oberstufe alleine gegenüberstellen.

Aber sowohl mein Betreuungslehrer als auch die Deutschlehrerinnen der Schule scheinen sehr nett zu sein und mich tatsächlich eher als Bereicherung als als Last zu sehen. Ich habe mich dazu entschlossen, während des semesterbegleitenden Praktikums zwei Klassen regelmäßig zu hospitieren: Eine S1 und eine S3.

Heute bin ich nun das erste Mal im Unterricht anwesend. Die Klasse scheint mich von Anfang an zu akzeptieren und bezieht mich bei Nachfragen als „wissende Lehrkraft“ mit ein. Das Thema des dritten Semesters der Oberstufe ist Liebeslyrik; ein Thema, bei dem es immer schwer ist die gesamte Klasse – vor allem die Jungen – durchgehend zu motivieren. Es bleibt spannend!